Es ging wieder mal auf die Lofoten. Im Winter. Wegen Polarlichtern. Warum auch sonst. Unsere Erwartungshaltung im Vorfeld der Reise war durchaus nicht ganz ohne. In der ewigen Bestenliste aller unserer bisherigen Reisen liegt der letzte Polarlicht-Trip nach Norwegen auf einem ziemlich stabilen Platz unter den top drei (zusammen mit Japan und Neuseeland). Schließlich hatten wir bei unserem letzten Wintertrip auf die Lofoten ziemliches Glück und annähernd perfekte Bedingungen (nachzulesen unter anderem in in diesem Blog Artikel).
In den Wochen vor unserer Abreise in diesem Jahr lieferten sich deswegen die personifizierte Erwartungshaltung mit der personifizierten Vorfreude regelmäßige Dispute darüber, wie die nächste Reise so wird. Die Vorfreude schwelgte in Erinnerungen an’s letzte Mal und wollte natürlich ein ähnliches (oder besseres) Erlebnis nochmals haben. Die Erwartungshaltung wirkte dem entgegen mit dem besserwisserischen Hinweis: „Beim letzten Mal lief es schon erstaunlich geschmeidig. Ob man soviel Glück ein zweites Mal haben kann?“ Und so lieferten sich die beiden zahlreiche imaginäre Diskussionen, ähnlich wie Engelchen und Teufelchen in dem Lied „Jein“ von Fettes Brot. Die Vorfreude schrie „Juhu, bald ist es soweit“ (was soll sie auch anderes sagen), die Erwartungshaltung hielt ihr häufig ein pragmatisch-skeptisches „Schau mer mal“ entgegen.
Das Wetter in der Woche direkt vor unserem diesjährigen Trip war dann mehr als okay. Frisch gefallener Schnee, tagsüber Sonne, nachts sternenklarer Himmel und Polarlichter so stark, dass man sie sogar auf den Webcams vor Ort klar und deutlich erkennen konnte. Die Voraussetzungen schienen unseren Erwartungen angemessen zu sein. So stellt man sich den Winter auf den Lofoten vor. Und die Polarlichter schienen sich durchaus dessen bewusst zu sein, dass gerade ein Maximum der Sonnenaktivität im Gange ist und sie deswegen eine besondere Show abliefern müssen. Ohne, dass wir ein solches Sonnen-Maximum jemals bewusst selbst wahr genommen hätten. Aber so stellt man es sich eben vor.
Da war sie wieder … die Erwartungshaltung.
Pragmatische Erwartungshaltung vs. kindliche Vorfreude
Als der Tag unseres Abflugs immer näher kam, nahm die Frequenz der täglichen (manchmal auch stündlichen) Checks der lokalen Wetter Apps und der Polarlichtvorhersage kontinulierlich zu. Anfangs war die Zunahme eher linear, zwischendurch auch schon auch mal exponentiell. Aber es änderte nichts an der Tatsache, dass die Vorzeichen gerade dabei waren, sich zu ändern. Und die Vorfreude sich von der Erwartungshaltung mehr und mehr in die Ecke drängen ließ. Statt kalter Polarluft machte sich feuchtwarme Luft aus dem Süden auf den Lofoten breit. Ein Sturmtief betrat die Bühne. Oder, um im Bild der Überschrift zu bleiben: die Manege.
Und statt fluffigem Schnee, wie man ihn nördlich des Polarkreises im Winter erwarten würde – da war sie wieder … die Erwartungshaltung – sah die Vorhersage eher fiesen Nieselregen und leichte Plus-Grade für unsere Zeit auf den Lofoten voraus. Also eher Herbst als Winter.
Unbeirrt dessen packten wir unsere Koffer trotzdem so, als ob der Winter bald wieder zurück kehren würde. Innerlich hofften wir ja immer noch, dass er sehr bald zurück kehren würde. Im Koffer landeten die gleichen Klamotten, die uns bereits im letzten Februar bei -28 °C in finnischen Nächten auf finnischen Seen schon gute Dienste erwiesen haben.
Aber um es gleich vorweg zu nehmen. Der Trick ging leider nicht auf: Das Wetter lies sich durch unsere eingepackten warmen Klamotten nicht dazu verleiten, einen zeitnahen Wetterumschwung in Richtung Winterwetter einzuleiten. Ergo, flog unser Koffer mit den warmen Klamotten hoch auf die Lofoten … und knapp eineinhalb Wochen später annähernd unangetastet wieder zurück.
Und doch gab es ein paar Lichtblicke während unserer Zeit im hohen Norden. Auch wenn das Wetter eher herbstlich als winterlich war. Mit den Regentropfen auf den Kameralinsen sind wir irgendwann klar gekommen. Auch wenn sie uns nicht glücklich gemacht haben. Und nach ein paar Tagen stark verbesserungswürdigem Wetter und wehmütiger Erinnerungen an die nächtlichen, verschneiten Bilder der Webcams von der vorangegangenen Woche haben wir die Situation dann auch eher so angenommen wie sie war und haben versucht, das Beste daraus zu machen. Wir hatten ja, pragmatisch betrachtet, nicht so die Wahl. So hat die skeptische Erwartungshaltung die Vorfreude kurzfristig schach matt gesetzt.
Und doch sind wir jeden Abend, sobald auch nur die geringste Aussicht auf Polarlichter und trockenes Wetter bestand, losgegangen und kreuz und quer über die Inseln gefahren. Haben Wolkenlücken gesucht, dabei Musik gehört, stundenlang geplaudert und gehofft … und manchmal auch Wolkenlücken gefunden. Bei der aktuellen Polarlichtaktivität haben selbst kleine Wolkenlücken oder transparente Schleierwolken bereits ausgereicht um uns in Staunen zu versetzen. Die Polarlicht-Aktivität war in der Zeit so stark, dass wir die Lichter zum Teil durch die Autoscheiben oder sogar das Panoramadach sehen konnten. Und irgendwann konnten wir uns fast schon sicher sein: sobald da eine Wolkenlücke ist, ist das nächste Polarlicht nicht mehr weit.
Und dann kam dieser eine Tag immer näher, an dem in den Wetter-Apps schon seit einiger Zeit relativ konstant wolkenloser Himmel vorher gesagt wurde. Der Abend und die Nacht sollten ebenfall noch leicht bewölkt bis wolkenlos bleiben und die Polarlichtvorhersage kündigte einen KP-Index von 3 – 4 an. Da war sie wieder: die Erwartungshaltung. Dieses Mal gepaart mit Vorfreude. So als ob sie beide nur darauf gewartet hätten, wieder aktiv zu werden, unser Denken und Hoffen zu beeinflussen, den Nervenkitzel wieder zu wecken.
Die Vorstellung beginnt
Es war noch relativ früh am Abend als wir unsere Fotoausrüstung zusammen packten. Wir bereiteten uns auf eine lange Nacht vor … und nahmen vorsichtshalber die ganz warmen Klamotten doch mit in’s Auto. Man weiß ja nie.
Als wir fast bei bei unserer Location für diese Nacht angekommen waren, sahen wir hinter den Bergen und zwischen den Wolken schon den grünlichen Schimmer. Wir hielten an, machten die ersten Fotos. Nicht optimal, aber besser als nichts. Im Laufe der letzten Tage haben wir uns doch eher mit dem Spatz in der Hand als der Taube auf dem Dach begnügt. So auch dieses Mal. Zu diesem Zeitpunkt ahnten wir nicht, dass die Taube noch auf uns wartete. Die Eröffnung der heutigen Vorstellung war jedenfalls schon ziemlich vielversprechend. Die Bilder beeindruckend. Und die Erwartungshaltung fühlte sich erst mal etwas befriedigt und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
Nach den ersten Bildern dieses Abends mit krass intensiven Polarlichtern trat so etwas wie leichte Entspannung ein. Wir sind bald darauf noch ein paar Kilometer weiter gefahren bis zu einem Strand mit Blick auf eine gleichmäßig geschwungene Bucht und einer gegenüberliegenden Bergkette in der Ferne. Hier waren wir vor etlichen Jahren bereits gewesen und haben damals einige der schönsten Bilder dieser Reise fotografiert. Mit zarten, hauchfeinen Polarlichtern, welche sich langsam und in eleganten großen Bögen über den Himmel schwangen.
Das war heute anders. Die Intensität war beeindruckend. Die Geschwindigkeit, mit welcher sie über den Himmel gleiten und ihre Formen ändern atemberaubend. Geradezu episch. Nun ja. Episch ist ein großes Wort. Und es wird leider viel zu häufig inflationär verwendet. Vor allem im englischen Sprachgebrauch. Aber uns ist es in dieser Nacht mehrmals selber über die Lippen gekommen. Für das, was sich dort über unseren Köpfen abspielte, war es ein durchaus angemessenes Adjektiv, subjektiv betrachtet.
Die Polarlichter waren einfach überall. In allen Himmelsrichtungen war ein Leuchten und Schimmern zu sehen. Wie unter einem riesigen Zeltdach. Wir wussten gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollten. Im Norden glänzten feine senkrechte Streifen an grünen Polarlichtern mit lila Schatten, die senkrecht vom Himmel zu fallen schienen. Wie eine Hochseiltänzerin, die mit seidenen Stoffbänder spielt, die im Rhythmus der Musik schwingen. Und wenn die Polarlichter für einen Moment verblassen, die Intensität kurz nachgelassen hat oder wieder mal ein Wolkenfeld herein gezogen kam, sind unsere Blicke unentwegt über den Himmel geschweift auf der Suche nach der nächsten Wolkenlücke oder der nächsten Polarlicht-Corona. Und dann ging die Vorstellung weiter. Es fühlte sich an wie in einem Zirkuszelt. Die Show fand oben statt. Wie Hochseilartisten, die in filigranen Bewegungen Kunststücke vollführen. Waghalsige Formen zeigen. Und immer wieder tauchte ein Feuerspucker auf, der den Himmel neu entzündete. Mal war ein Tiger zu erkennen, der mit weit aufgerissenem Maul zum Sprung durch einen Reifen ansetzt. Mal waren es Elefanten, die im Kreis um die Manege trotteten. Wir sind irgendwann einfach nur da gestanden und haben nach oben gestarrt und alles um uns herum vergessen.
Da war es mal wieder für einen kurzen Moment: Unser Reiseglück, welches uns die ganzen Jahre über begleitet hatte. Und welches die letzte Zeit irgendwie im Urlaub zu sein schien. Also, in einem anderen Urlaub. Nicht in unserem.
Und bevor die Worte jetzt zu sehr in’s Kitschige abdriften, hier eine kleine Auswahl der Bilder dieser Nacht:
Gegen 3 Uhr morgens machten wir uns wieder auf den Heimweg, zurück nach Reine. In Hamnoy konnten wir noch das klassische Bild der roten Rorbuer unter Polarlichtern fotografieren. Hier war er wieder, der Tiger, der bei aufgerissenem Maul zum Sprung ansetzt.
Das Nachspiel
Wir hatten danach noch ein paar weitere Nächte, an denen wir Polarlichter sehen konnten. Der Himmel war meistens bewölkt, aber hin und wieder konnten wir einen Blick auf die Lichter erhaschen. An den letzten Tagen der Reise, auf den Vesterålen, war das Wetter dann noch einen Tick besser als auf den Lofoten und wir konnten ein paar schöne Bilder machen. Die Strukturen der Polarlichter, die Farben und auch die Bewegungen waren auch hier schlichtweg beeindruckend. Episch eben.
Und so sind wir letzten Endes doch noch mit einem ganz guten Gefühl wieder in den Flieger zurück nach Oslo gestiegen. Die Erwartungshaltung hatte recht behalten: es hätte besser sein können. Aber mit der Zirkus-Vorstellung dieser oben beschriebenen Nacht hatten wir ein absolutes Highlight erleben können.
Die nächste Reise in den winterlichen Norden haben wir auf der Rückreise gedanklich schon einmal grob vorgeplant. Vermutlich wird es wieder Norwegen werden. Das nächste Mal vermutlich wieder eine Woche früher im Jahr, mit etwas mehr Mondschein. Und dann ja vielleicht wieder mit fluffigem, frisch gefallenem Schnee in bitterkalten und sternenklaren Winternächten. Da war sie wieder … die Erwartungshaltung.