Es ist Mitte Oktober. Seit einigen Wochen beoachten wir schon die Herbstlaubtracker auf diversen Websites. Nachdem wir im letzten Jahr bei einer Reise durch den Nordosten der USA die Herbstlaubfärbung in New England erleben konnten, quasi die “Mutter” des Indian Summer, bleibt uns dieses Jahr nur ein Wochenende um bunte Herbstfarben, blauen Himmel und vielleicht ein paar schneebedeckte Berge zu erleben. Wir sind schon einige Male spontan und unvorbereitet in traumhafte Herbstlaublandschaften gestolpert. Sei es in Japan, Schweden oder an der Ostsee gewesen. Dieses Mal sind wir recht gut vorbereitet.
Auf dem Weg in’s Engadin
Für dieses Wochenende stehen die Vorhersagen nicht schlecht und so fahren wir – auf kleinen Umwegen über Rosenheim und durch das Inntal – hoch in’s Engadin. Sind die Lärchen in den niedrigeren Regionen der Schweizer Berge noch ziemlich grün, zeigen sie sich mit steigenden Höhenmetern immer mehr im gelben Herbstkleid. Als wir im Oberengadin ankommen ist die Sonne gerade am Untergehen. Die Bergspitzen werden noch vom restlichen Sonnenlicht angestrahlt und nur die Lärchen weit oben am Berg können sich noch in den letzten Sonnenstrahlen wärmen. Die Temperaturen in der Nacht fallen schon unter den Gefrierpunkt. Für morgen wird jedoch ein strahlend schöner Herbsttag vorhergesagt. Wir checken in’s Hotel ein und machen uns einen Plan für den nächsten Tag. Und dieser Plan soll uns zum Fuß des Morteratsch-Gletscher führen.



Nachdem der Abend allerdings noch lange ist und wir gerade Neumond haben, machen wir uns nach dem Check-In direkt wieder auf den Weg. Draußen ist es mittlerweile komplett dunkel geworden, der Himmel hängt voller Sterne und im Westen ist schon das Band der Milchstraße zu erkennen. Wir fahren zu einem Aussichtspunkt am Fuße des Bernina Pass mit Blick auf den Morteratsch-Gletscher und die Berge drumherum. Der Aussichtspunkt liegt an der Straße, welche zum Bernina Pass führt und ist somit einfach zu erreichen. Es bedeutet aber auch, dass hin und wieder Autos vorbei kommen. Die Kunst ist es nun, die Pausen abzupassen, wenn kein Lichtkegel den Wald um uns herum in taghelles Neon-Licht taucht. Wir haben einige Male Glück und je später der Abend wird desto seltener werden auch vorbei fahrende Autos. Zum Abschluss des Abends fahren wir noch hoch auf die Passhöhe des Bernina Passes. Auf knapp 2.500m sollte Lichtverschmutzung kein allzu großes Thema mehr sein, der Verkehr hält sich hier oben in Grenzen und die Klarheit der Sterne ist, nun ja, irgendwie schon atemberaubend.


Gelbe Lärchen und Schnee: Wanderung zum Fuß des Morteratsch-Gletschers
Am nächsten Morgen machen wir uns zeitig auf den Weg. Die Wanderung vom Bahnhof Morteratsch zum Fuß des Gletschers ist wahrlich kein Geheimtipp. Und so sind wir froh, dass uns unser Parkplatzglück auch dieses Mal nicht im Stich lässt und wir einen der letzten freien Parkplätze ergattern. Die Wanderung führt entlang eines Bachs im Tal bis zum Talschluss mit dem Gletscher. An der Station des Bernina Express ist es trubelig, doch etwas weiter den Weg hinein wird es ruhiger. Schon als wir auf den Wanderweg einbiegen leuchten die ersten Lärchen in der noch tief stehenden Sonne. Der Weg steigt gemächlich an und bietet immer wieder neue Perspektiven auf die Lärchen, den Bach und die Berge ringsherum. Wie bei jeder Gletscherwanderung, so wird auch hier eindrücklich dargestellt, wie weit der Gletscher noch vor einigen Jahren bis in das Tal hinein gereicht hat. Die Hoffnung, heute bis zum Gletschermund zu kommen, legen wir bald ad acta. Zu weit wären die letzten Meter über Geröll und Schnee, bis man zum Eis vordringen kann. Wir genießen den Kontrast zwischen dem warmen gelb der Lärchen und dem kühlen blau-grau-weiß der schneebedeckten Berge und kehren irgendwann wieder um. Wir wollen heute noch etwas weiter Richtung Maloja fahren um auch die Seen noch bei Sonnenschein zu bekommen.







Vorbei an St. Moritz fahren wir Richtung Silvaplana mit dem Silser See. Auf dem See flitzen bunte Kite-Surfer im leicht stürmischen Wind von links nach rechts und wieder nach links. Aus der Ferne ist es faszinierend zu sehen, dass sich die Leinen der Kites nicht ineinander verhaken. Im Hintergrund leuchten Berghänge mit gelben Lärchen und grünen Tannen, getoppt mit leicht überzuckerten Bergspitzen. Unser Ziel ist der Malojapass, den wir heute nicht hinunter fahren werden sondern nur von oben fotografieren wollen. Allgemein gibt es hier viele schöne Passstraßen zum Fahren. Sonntag werden wir den Rückweg über den Albulapass fahren, und einer unserer Lieblingspasstraßen, der Umbrail Pass im Val Mustair, ist auch nicht weit von hier. Sobald sich die Sonne im Westen hinter den Bergspitzen versteckt machen wir uns auf den Rückweg in unsere Unterkunft. Wir wollen die sternenklare Nacht nochmals für Sternenbilder nutzen.




Dieses Mal am Silser See. Die Milchstraße steht genau über dem westlichen Ende des Sees. Die Sterne spiegeln sich im Wasser. Und eine kleine Sternschnuppe verirrt sich auch in eines unserer Bilder. Wir fahren nochmals zum Malojapass, sehen aber hier schon, wie sich die Wolken und der Nebel von Westen her nähern und schnell den Blick auf die Sterne verschließen.

Das Val Fex, ein abgeschiedenes Seitental
Am nächsten Tag ist der Himmel wolkenverhangen und die Landschaft um uns herum noch leicht in Nebel gehüllt. Die Stimmung der Landschaft ist etwas gedämpfter, die Färbung der Lärchen wirkt dadurch etwas gedeckter, eher orange als gelblich. Unser Ziel für heute ist das Val Fex, ein einsames Seitental der Hochebene rund um St. Moritz. Vor ein paar Jahren, als wir zufällig zur Lärchenfärbung hier vorbei gekommen sind, hatten wir schon einen kurzen Blick in das Tal werfen können. Heute haben wir mehr Zeit mitgebracht für eine längere Wanderung. Die Wege hier sind lange nicht so überlaufen wie gestern am Morteratsch und wir genießen die Stille und die Landschaft. Wir nehmen einen Weg durch den Lärchenwald, der etwas über dem Talgrund verläuft. Für den Rückweg nehmen wir die kleine Straße im Tal. Die wir uns mit Pferdekutschen und ein paar Mountain Bikern teilen.




Bevor wir die Heimreise über den Albulapass antreten, fahren wir nochmals Richtung Pontresina. Hier hatten wir am gestrigen Tag noch ein paar schöne Bäume gesehen. Wir erfahren durch Zufall, dass auch eine alte Dampflok heute auf der Bahnlinie unterwegs sein soll. Wir meinen auch ein entferntes Pfeifen zu hören, machen uns dann aber doch auf den Weg zum Albulapass, damit die Sonne nicht schon zu tief steht, bis wir dort oben sind.

Flüssige Kurven und große Ingenieurskunst am Albula-Pass
Einen kurzen Stop machen wir am Palpuognasee. Die Sonne ist schon fast komplett hinter den Bergen verschwunden und nur die Gipfel auf der anderen Seite werden noch vom Sonnenlicht angestrahlt. Auf dem See hat sich schon eine leichte Eissschicht gebildet. Wir genießen kurz die Ruhe und die Aussicht, bevor wir den Albulapass weiter fahren Richtung Bergün.




Aus Ingenieursperspektive ist dieser Teil des Passes faszinierend. Die Bahnlinie der Räthischen Bahn überwindet hier in zahlreichen Kurven und Tunneln die Höhenmeter. Aufgrund der faszinierenden Konstruktion wurde dieser Teil des Albulapasses von der UNCESCO ausgezeichnet. Und am Ende erfüllt sich noch eine Fotografie, die wir schon lange auf unserer Liste haben: Das Landwasser-Viadukt. Es ist zwar schon spät und wir kommen nicht mehr zum Aussichtspunkt, aber mit der Drohne können wir noch einen Schnappschuss von einem roten Zug auf dem Viadukt machen.




Somit geht ein farbenfrohes Wochenende mit einer kleinen Überraschung zum Abschluss zu Ende.
